Mille und Kreator standen und stehen für mich immer schon für Veränderung, eine äußerst stabile menschliche als auch politische Haltung und auch den Mut, Neues zu wagen und Grenzen auszuloten. Das mag den Thrashpurist:innen missfallen, die mutmaßlich erwarten, dass eine Band noch genauso klingen sollte wie vor über 40 Jahren, ich hingegen kann tatsächlich mit Kreator in allen ihren Schaffensphasen etwas anfangen und spüre keinen Verrat am „wahren Thrash“ oder störe mich an ein bisschen Feuershow und Konfetti auf Konzerten. Mille ist unverkennbar die Stimme von Kreator und ich war mehr als nur gespannt auf die Lektüre seiner (Teil-)Autobiografie. Lustigerweise fühlte sich Mille nie als der geborene Sänger, was mir erst nach Genuss des Buches richtig bewusst wurde. Er wurde quasi in die Rolle hineingedrängt und wollte eigentlich nur Gitarre spielen. Schön, dass das dann trotzdem so funktioniert hat und somit eben auch den charakteristischen Gesang Kreators erschaffen und geprägt hat.
„Männlichkeitsgehabe, Rivalität, jede Form von „Wir gegen die“ haben mich schon als Kind abgeschreckt.“
Mille Petrozza
Das Buch liest sich äußerst kurzweilig, kaum anfangen, ist man schon in der Mitte und hat vergessen genügend zu trinken und zu essen. Aber genau so soll ein Buch sein, schon viel zu lange hat mich kein Text mehr bis spät in die Nacht lesen lassen und lies mich nicht mehr aufhören, nur um dann mit drei Stunden Schlaf in den nächsten Arbeitstag zu starten. Alles nur, weil man die übliche halbe Stunde vor dem Schlafengehen wie üblich mit Lektüre verbringt. Es gibt Trauriges zu lesen, öfters musste ich sogar lachen, rundum gelungen und sehr unterhaltsam. Mille als Person wird mir im Laufe des Buches auch immer sympathischer. Solche zur Selbstreflexion neigenden Menschen, die ihre Fehler eingestehen können, sich ihrer Dummheit in der Jugend bewusst sind, sind mir grundlegend sympathisch. Sowas würde man sich von allen Menschen wünschen, was leider aber die Ausnahme zu sein scheint. Auch, dass die Band bis zum heutigen Tage so eine Konstante mit Mille als Sänger und Gitarrist und Ventor als Drummer, anfänglich auch als zusätzlicher Sänger, hat, gefällt mir. Es blitzt laufend die menschliche Klasse Herrn Petrozzas durch, wenn man merkt, an wie vielen Stellen er auf ehemalige Mitstreiter immer noch wohlwollend und das Gute schauend zurückblickt. Kein Mensch, der nachtritt oder auf Menschen, die egal ob vom Schicksal, von Drogen oder einfach nur von der Persönlichkeit her gebeutelt sind, herabblickt.
Ab und an merkt man, dass Mille seine Gedanken fernmündlich weitergegeben hat oder über das Tonaufnahmegerät. Dann sind in den einzelnen Kapiteln plötzlich ein wenig unzusammenhängende Geschichten oder Sätze. Verwirrt kurzfristig, stört aber nicht wirklich. Ist wohl eher ein Problem für Schnellleser:innen, wenn man kurz innehalten und nochmal nachlesen muss, warum es jetzt denn gänzlich anders weiter geht. Alles in allem möchte ich nicht zu viel verraten, aber von den Büchern über Metal-Persönlichkeiten, sticht dieses deutlich hervor. Gut zu lesen, spannende Geschichte und nicht völlig übertrieben und/oder der alleinige Fokus auf Drogeneskapaden oder Ähnliches. Auch die Produktions- und Aufnahmegeschichte kommt nicht zu kurz. Leseempfehlung!
Ein weiterer, klitzekleiner Kritikpunkt: Gegen Ende, als kurz die Sprache auf die Geschwister kommt, der jüngere Bruder stirbt an und mit Koks mit 42 Jahren, ein paar Seiten später ist dann die Rede davon, wie Mille nur seine beiden älteren Brüder bereits verabschieden musste. Macht jetzt keinen so großen Unterschied zum eigentlichen Inhalt, aber lässt einen doch ein wenig fragend zurück.
Your Heaven, My Hell ist bisher nur auf Deutsch erschienen.
| Author | Mille Petrozza mit Torsten Groß |
| Name | Your Heaven, My Hell |
| Release date | August 2025 |
| Publisher | Ullstein extra |
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